the (almost) daily appreciator

Wednesday, February 07, 2007

anderweitig veröffentlicht (von mir): (K)einer von da oben

Von den Texten, die ich bisher in der Philtrat veröffentlicht habe, ist das hier mein liebster. Endlich hab ich das Ding per Zufall auf diesem Desktop gefunden (nicht zu Hause).
Ich glaube in diesem Fall sind die Veränderungen, die die Redaktion vorgenommen hat recht geringfügig - das heisst, der Text ist recht gut auch anderweitig (in der Redaktion) angekommen.
Außerdem hatte ich ein schönes Erlebnis, das einen als Schreiberling ja nur ermuntern kann, weiterzumachen: Als ich in irgendeinem Seminar saß, setzte sich ein mir fremder Mensch neben einen mir bekannten Menschen, man kam allgemein ins Gespräch und plötzlich fragte der Fremde, ob ich der Autor von dem Pryor-Nachruf wäre - er hätte ihn gut gefunden und von einem anderen mir bekannten Menschen gesagt bekommen, wer ich sei - irgendwo hing wohl unipolitisch bedingt mein Bild.
Meine erste kritische Instanz ist zwar Beate (sie findet auch, dass das mein bester Artikel ist:-), und die Redaktionsmeinung ist auch wichtig, aber Leserfeedback aus heiterem Himmel ist schon sehr erhebend. Also lest es, vergleicht es mit der veröffentlichten Fassung, und feeded back (auch wenn die Meinung eher negativ ausfallen sollte).

(K)einer von da oben

Ein Nachruf auf einen der bedeutendsten amerikanischen KünstlerInnen des zwanzigsten Jahrhunderts

In dem 1985er-Film „Zum Teufel mit den Kohlen“ - in dem der von Richard Pryor gespielte Charakter Brewster 300 Millionen Dollar erbt, wenn er innerhalb von 30 Tagen 30 Millionen Dollar ausgibt ohne am Ende etwas zu besitzen – startet der Held eine Wahlkampagne um Geld zu verschwenden. Der Slogan seines Wahlkampfes ist: „Keinen von da oben!“ Dieser Wahlspruch des rebellischen Underdogs könnte auch der Leitspruch von Richard Pryor sein.

Geboren am 01.12.1940 in Peoria, Illinois als unehelicher Sohn einer Prostituierten und ihres Zuhälters, wuchs er im Bordell seiner Großmutter auf. Dort konnte er seiner Mutter bei der Arbeit zusehen, wurde als Kind vergewaltigt und war tagtäglich von Menschen umgeben, die sich am äußersten Rand des gesellschaftlichen Lebens bewegten.

Nachdem er mit 14 Jahren von der Schule flog, schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er eingezogen wurde und seinen Dienst in Deutschland antrat. Danach ging er Anfang der 60er Jahre nach New York um in die Fußstapfen seines Vorbilds Bill Cosby zu treten. Er verdiente Geld, hatte Auftritte im Fernsehen und war frustriert damit eine Cosby-Kopie zu sein. Diese Einsicht hatte er auf der Bühne – in Las Vegas. Mitten in einem Auftritt, hielt er inne, sagte: „Was zum Teufel mach` ich hier!“ und stapfte von der Bühne.

Als er zurückkam, war er das dunkle Gegenstück zu Bill Cosby. Wie dieser erzählte er keine Witze, sondern Geschichten, mit Charakteren. Er fing an die finsteren Gestalten seiner Kindheit zum Bühnenleben zu erwecken, von denen er selber sagte, dass „ sie alle wunderbare Charaktere (waren), wenngleich sie nicht alle gute Menschen waren.“ Er fing an dem schwarzen Amerika gleich mehrere Stimmen zu verleihen. Aber er lieh seinen Charakteren auch seinen Körper. Er brachte voll ausgereifte Personen auf die Bühne, komplett mit Stimme, Sprachduktus, Mimik, Gestik und gelebtem Leben. Einer seiner beliebtesten Charaktere und wohl sein Alter Ego war der alte Kneipenphilosoph und Geschichtenerzähler „Mudbone“.

Aber Pryor beließ es nicht dabei, das Leben in den Ghettos, und die Sprache der Gosse ins Bewusstsein Amerikas zu rufen. Er verkörperte auch Weisse, Tiere und seine Crackpfeife, der er die Stimme Richard Nixons gab. Er verquickte diese Rollenprosa mit den anderen Genres der Standup-Comedy: Alltagsbeobachtungen, Gesellschaftskritik, Zoten und vor allem Biographisches – und füllte damit sein Bühnenprogramm, knapp zwanzig Comedy-Alben und drei Konzertfilme. Außerdem wurde er somit zum (unerreichten) Vorbild für alle folgenden Standup-KomikerInnen – unabhängig von Hautfarbe, Nationalität oder Geschlecht. So unterschiedliche KomikerInnen, wie Eddie Murphy, Robin Williams, Roseanne und der Brite Eddie Izzard berufen sich auf seinen Einfluss.

Dieser künstlerische und kommerzielle Erfolg öffnete ihm die Türen zu Film und Fernsehen – wo er dann wiederum Wege für spätere afroamerikanische KünstlerInnen wie oben genannte, Will Smith, Chris Rock, die Wayans-Brüder und Dave Chappelle ebnete. Er schrieb für verschiedene Fernsehsendungen. Die inzwischen auf DVD erhältliche „Richard Pryor Show“ war zwar sehr kurzlebig, aber dennoch wegweisend. Er schrieb am Drehbuch zu Mel Brooks Westernparodie „Blazing Saddles“ mit, setzte die Standards für Comedy-Konzertfilme mit „Richard Pryor: Live in Concert“, „RP: Live on Sunset Strip“ und „RP: Here and Now“, nahm mit seinen Kollaborationen mit Gene Wilder, wie zum Beispiel „Transamerikaexpress“, die Buddy-Movies der 80er und 90er vorweg und erhielt die unerhörte Gage von 4 Millionen Dollar für „Superman III“.

Aber dieser Erfolg hatte seine Kehrseiten: Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Gefängnisaufenthalte, sieben Ehen, Gewaltexzesse, Anzünden im Drogenrausch (nach eigenem Bekunden ein Selbstmordversuch) und 1986 die Diagnose der Multiplen Sklerosis, die ihn dann in den 90ern an den Rollstuhl fesselte. All das verarbeitete er schonungslos (sich selbst gegenüber) auf der Bühne und in dem Film „JoJo Dancer, Your Life Is Calling“ (1986), den er auch mitschrieb und inszenierte.

Gegen Ende des Konzertfilms „Richard Pryor: Here and Now“ verkörpert er einen Junkie; und wie er sich da kaum auf seinen Beinen halten kann, wie in Trance wirkt, und das Publikum aufhört zu lachen, transzendiert Richard Pryor für einige Momente die Grenzen zwischen Tragik, Komik und bloßer Tragikomik, zwischen Rolle, seiner eigenen Person und Darstellung, – man hat das Gefühl er wäre auf der Bühne vom Geist eines toten Junkies besessen. Wenn man sich diese über zwanzig Jahre alte Aufnahme anschaut, versteht man vielleicht was er in seiner Dankesrede für den vom Kennedy Center vergebenen Mark-Twain-Preis für Amerikanischen Humor – er war 1998 der erste Preisträger – meinte, als er sagte, dass er wie Mark Twain versucht hatte, Humor zu benutzen um „den Hass der Menschen zu verringern“.

Richard Pryor starb am 10.12.2005 neun Tage nach seinem 65sten Geburtstag an Herzversagen.



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