anderweitig veröffentlicht (von mir): "I link, therefore I am!"
der text wird in der dezemberausgabe der philtrat veröffentlicht. wer weiss wieviel dann noch übrig ist. diese version wurde nur von beate redigiert. wahrscheinlich sind noch kleine fehler drin - aber bestimmt weniger als in der endgültigen fassung...irgendwie geraten immer wieder neue fehler in tausendmal korrekturgelesene texte...
also:
@Ü_1:„I link, therefore I am!”
@Ü_2:
@T_0:In Gordon McAlpines Webcomic “Multiplex”, Ausgabe #32, überlegt ein Teil des Kinopersonals nach Feierabend “Grandma´s Boy“, einen Film über einen Computerspieltester, anzusehen. Stattdessen nutzen sie aber die technischen Möglichkeiten des Kinos, um ein Spiel auf der großen Leinwand zu erleben. Das letzte Panel des Strips zeigt sie in der ersten Reihe sitzend mit lautstarker Begeisterung spielen. Dieses eine Bild beschreibt ziemlich treffend den Reiz der drei Formen der visuellen Narrativik: die Interaktivität der Computerspiele, die überwältigende ästhetische Erfahrung des Kinos, die Konzentration komplexer Vorgänge in simple Bilder und das kommunale Ereignis, das alle drei sein können.
@T:Trotz des Images der sozialen Inkompetenz, Eigenbrötelei und emotionalen Distanz, das die Fans dieser drei Kunstformen immer noch haben - und das jedes Mal, wenn ein junger Mensch Amok läuft, von Politikern wieder aufgewärmt wird - ist ein großer Teil dieser sogenannten Nerds oder Geeks eingebunden in vielgestaltige subkulturelle Strukturen. Netzwerkpartys, Fanzines, Festivals, Conventions, Kinobesuch mit der eigenen Clique und Fachgeschäfte als Treffpunkte sind einige der Varianten „realen“ Kontakt zu anderen Fans zu haben. Das Internet erweitert das Spektrum der Möglichkeiten auf eine globale Ebene.
Dieser Umstand und die vielen Schnittstellen der einzelnen Subkulturen (Fantasyfans zum Beispiel spielen, lesen und sehen die entsprechenden Spiele, Comics und Filme) sind das perfekte Fundament für das schnelle Wachsen einer inzwischen schon sehr vielfältigen Webcomic-Kultur.
Nach Vorläufern im Usenet und den Anfängen des Internet wie zum Beispiel „Where the Bufallo roam“ und „The Polymer City Chronicles“ erschien 1995 mit Charley Parkers
„Argon Zark!“ der erste wahre Webcomic. Im Gegensatz zu den Vorläufern – und vielen aktuellen Comics – wurde er am Computer hergestellt, und nicht analog gezeichnet und dann eingescannt. Vorerst wurde er nur im Internet publiziert, hatte also nicht seinen Ursprung in Printmedien, und thematisierte das Internet, indem der Held sich ins Cyberspace transportieren konnte und Abenteuer im virtuellen Wunderland erlebte. Das Motto des Comics ist: „I link, therefore I am!“. Charley Parker passte das Seitenformat dem horizontalen Format des Computerbildschirms an und nutzte verschiedene Multimediaanwendungen, zum Beispiel animierte Elemente im “statischen” Strip. Es folgten schnell weitere Comics, die das große Potential ausloteten: Musik, die sogenannte „unendliche Leinwand“ (engl.: infinite Canvas), kontroverse Inhalte, die man sonst nur aus den Undergroundcomix kannte, herkömmliche Gagstrips und komplexe, langfristige Storylines. Neben den vielen Genres der Printcomics, die auch im Internet weiterhin beliebt sind, wie zum Beispiel Strips mit anthropomorphen Tieren („Kevin and Kell), entwickelten sich recht schnell sehr fanspezifische Comics, die es so in Printform nicht gibt. Zu den bekannteren gehören Comics über Gamer, wie „PvP“ oder Filmkritik-Comics, wie „Theater Hopper“, „Popcorn Picnic“ und eben „Multiplex“.
Das lässt sich wohl damit erklären, dass das Internet jedem Menschen mit einem Computer mit Internetanschluss ermöglicht seine Meinung kundzutun. Genauso kann jeder der meint zeichnen zu können, einen Comic veröffentlichen. Und da die meisten User Fans sind und es sich anbietet Comics über etwas zu machen womit man sich auskennt, kommentieren die genannten Comics eben nicht nur Spiele und Filme, sondern auch mit einer großen Prise Ironie die Lebensstile und die klischeehaften Eigenschaften der Zielgruppe der Gleichgesinnten. Dadurch wird in den besten Fällen („Multiplex“, „Popcorn Picnic“) das Publikum und die Industrie (Rezipienten und Produzenten) unter die so witzige wie treffende Lupe genommen.
Ebenso schnell wie die Kunstform selbst entwickelte sich auch eine Infrastruktur der Distribution und des Austauschs. „Verlage“ wie Keenspot, webzines wie der Webcomics Examiner, Foren wie Comixpedia begannen den KünstlerInnen und den KonsumentInnen eine Plattform zu bieten, was zu einer beispielhaften Kommunikation zwischen beiden Parteien führte, die es in den Printmedien nicht in diesem Ausmaß gibt. Die meisten Künstler haben auf ihren eigenen Seiten Message Boards und Blogs. Tom Brazelton, der Macher des „Theater Hopper“-Strips über einen Filmfan und seine Frau und Freunde, schreibt korrespondierend mit dem jeweiligen Strip auch noch eine kleine Kritik. Es gibt Merchandising-Artikel auf den Seiten und Links zu den Lieblingscomics der einzelnen AutorInnen. Außerdem wird, wenn die eigentliche MacherInnen aus irgendwelchen Gründen eine Pause einlegen, diese Zeit überbrückt mit Gaststrips der befreundeten KünstlerInnen, oder Charaktere aus dem einen Comic tauchen im anderen auf.
Die Kehrseite des Ganzen ist, wie meistens im Netz, die monetäre Seite. Die meisten Künstler veröffentlichen ihre Strips nebenher, weil es kaum möglich ist seinen Lebensunterhalt mit frei zugänglichen Comics zu bestreiten, selbst mit einer Kombination der verschiedenen Finanzierungsmodelle: Spenden (evtl. in Form von Micropayments), Merchandising, meist selbstverlegte Printkollektionen, durch Abonnement beschränkter Zugang zu Archiven und Spezialstrips, Werbung auf der Seite etc.
Dennoch kommt die Webcomicgemeinde näher an die Verwirklichung des „global village“-Gedankens der modernen Multimediawelt heran als alles andere. Die Kunstform Comic war schon immer kommunaler und demokratischer als Literatur, Film oder gar die Bildende Kunst und Musik. Von Anfang an als Gebrauchskunst“ für die zeitungslesenden Massen gedacht meist in Teamarbeit produziert von mehrköpfigen Studios, am Frühstückstisch von der ganzen Familie gelesen, in Heften gesammelt auf Schulhöfen hin- und hergetauscht, behandelten Comics häufig auch inhaltlich Gemeinschaften. Ob Superheldengruppen, die Kinder um Charlie Brown, das kleine unbeugsame, gallische Dorf oder Schlumpfhausen – Freundschaft, Kommunikation, Gruppenzugehörigkeit und Teamwork sind wichtiger in Comics als in Romanen mit ihren Ich-Erzählern und Gedichten mit ihren lyrischen Ichs.
So scheint die Synergie der Comics mit dem globalen Kommunikationsmedium Internet eine natürliche Evolutionsstufe zu sein hin zu einer Globalisierung fernab von Imperialismus und Konzernökonomie.
@T_AU:Thomas Hemsley